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Alter Bergbau auf Coelestin bei Jena

Fasercoelestinlagen

 

Das erste Bild zeigt am Stollenende (in ca. 15 m vom Eingang aus) eine Cölestinlage in den anstehenden Myophorienschichten des oberen Buntsandsteins:


Das linke Bild zeigt den gefährlichen, zum Teil verbrochene Eingang zu dieser Coelestinhöhle. Das mittlere Bild zeigt einen weiteren Bereich am Stollenende. Um 1990 wurde von Mitgliedern einer Geologie/Mineralogiearbeitsgemeinschaft ein verstürzter Stollen mittels eines etwa 4 m tiefen Schachtes senkrecht von oben her zugänglich gemacht (Bild rechts).

Stolleneingang

Am Stollenende

Lichtloch zum Bergbaustollen


Der Cölestinbergbau kam um 1893/94 zum Erliegen, weil westfälischer Strontianit viel besser für die Verarbeitung in der Zuckerindustrie geeignet war. Es muss früher so um die 50 bis 60 Stollen bei Wogau (Jena) gegeben haben. Viele Rinnen, Pingen, Halden, ein noch zu erkennender "Schrägaufzug" im Wald (noch erkennbarer "Weg") und verstürzte Stollen weisen heute noch als Bergbauspuren auf dieses Unternehmen hin, das von einheimischen Bauern als Nebengewerbe im Winter genutzt wurde.

E.E. SCHMID beschreibt 1872/1884 die schichtförmige Einlagerung von faserigem Cölestin von Wogau (Südabhang des Jenzig) ausführlich. Er teilt diese Folge als "SCHMID`s Cölestinschichten" dem Unteren Muschelkalk zu.

R. WAGNER beobachtet in seiner Abhandlung aus dem Jahr 1897 ein Profil aus einem alten Cölestinabbau:

Am Südhang des Jenzig konnte ich in einer noch zugänglichen Grube von oben nach unten beobachten:

Profil No.4

Hangendes: Ebene Platten

ca. 0,8 Meter ziemlich ebenflächige Myophoria-Platten,
ca. 0,015 Meter blauer, faseriger Cölestin,
ca. 0,5 Meter Myophoria-Platten,
ca. 0,02 Meter Myophoria-Platten,
ca. 0,015 Meter Cölestin,
ca. 0,44 Meter Myophoria-Platten,
ca. 0,006 Meter Cölestin,
ca. 0,40 Meter Myophoria-Platten.

Am Jenzig wurde die grösste Mächtigkeit der Cölestinlagen mit 0,03 Meter beobachtet. Die einzelnen Lagen keilen sich öfters aus, setzen aber in ungefähr derselben Höhe wieder ein.

Literatur:

E. E. SCHMID: "Erläuterungen zur Geol. Karte Blatt Jena" Erste u. zweite Auflage, Berlin 1872/1884
R. WAGNER: "Beitrag zur genaueren Kenntniss des Muschelkalks bei Jena", S. 11-12, Berlin 1897

Eine gute Beschreibung der alten Cölestinabbaue gibt auch K. KEIL im Aufschluss 6 S. 27/28 von 1955:

...Mir sind mehrere der verlassenen Fundstellen hier am Jenzigsüdhang bei Wogau bekannt, von denen im Jahre 1953 zwei, im Sommer 1954,als ich das letzte Mal dort war, noch eine fündig war. Es handelt sich hier um Höhlen, die früher einem lokalen Abbau dienten. ...Diese Höhlen sind, nachdem der Abbau schon stillgelegt war, von Sammlern und Liebhabern immer wieder erweitert worden. Sie führen zuerst 4- 6 m schräg nach unten in den Berg hinein, dann fallen sie meist bedeutend steiler noch 1-3m in die Tiefe ab. ...Die Höhlen besitzen eine geringe Höhe, außerdem sind sie sehr dunkel. ...Man kann sie nur kriechend begehen, was sehr durch den Schutt und die manchmal erschreckende Baufälligkeit erschwert wird. ...

Weitere Literaturhinweise zum Cölestinbergbau um Jena:

G. Weise/W. Schilling: "Von Alabaster bis Zement" - Bodenschätze und ihre Nutzung im Raum Jena - Ein historischer Überblick, 1997, S. 40 - 42
Dr. J. Ellenberg: "Coelestin von Wogau" Gemeindeblatt von Jenaprießnitz und Wogau Nr. 1 Jan. 2003

Eine nette Geschichte (unveröffentlicht) von Klaus Winckler (gest.1995) erzählt sehr anschaulich "Auf den Spuren des Bergbaues um Jena" über den ehemaligen Cölestinbergbau bei Wogau und anderer Bergbaugebiete um Jena (leicht gekürzt).

Klaus Winckler (gest. 1995) zum Gedenken:

*Auf den Spuren des Bergbaues um Jena

...KIES und SAND wurden auch an anderen Orten im Weichbild der Stadt gewonnen, wie in Porstendorf und südlich von Maua und Lobeda. TON- und LEHMVORKOMMEN bei Winzerla, unweit Sulza, im Prinzessinnen-garten am Hang des Kritzegrabens,im Gebiet Magdel­stieg/Schellestrasse und schliesslich in Wogau, veranlassten die Entstehung von Ziegeleien. Hierbei wurden nicht die Schätze der Talaue genutzt, sondern auch die der Saaleterrassen bzw. des Buntsandsteins. Ebenso verstand man es, die eiszeitlichen Tone, Kiese und Sande zu verarbeiten (Heiligenberg bei Zwätzen, Jenaer Forst, Wöllmisse, Gletscherfelsen bei Schöngleina/Ruttersdorf, Quirla).

Die Talsohle wird an manchen Stellen von Felsbänken stark eingeengt. Dabei sind recht oft CHIROTHERIENSANDSTEINE aus der Mittleren Buntsandsteinformation beteiligt aber auch die FOSSILFREIEN GIPSE des Röts, der ältesten Abteilung des Oberen Buntsandsteins.

Betrachten wir uns die steilen Feispartien genauer. An vielen Stellen entdecken wir Holztüren am Fels angeschlagen. Sie verdecken Stollen, die Menschen gruben, nicht, um nach Bodenschätzen zu fahnden, sondern um sich Kellerräume zu schaffen. War doch Jena von Weinbauern bewohnt. Die Stadtbrauerei benutzt die Höhlen des "Felsenkellers" an der Kahlaischen Straße. Am unteren Burgweg, am Camsdorfer Ufer unterhalb der Lutherkirche, in der Schillstraße da, wo der geologische Lehrpfad beginnt, in Rutha, Burgau und Wogau werden diese feuchten kühlen Lagerräume noch heute genutzt. Und nun aufgepasst: Dringen wir in solch einen Gang ein und beobachten die Gesteinsschichten genau, bemerken wir manchenorts einen weißen feinkörnigen Sandstein, der sich abschaben lässt. Wir haben einen neuen Rohstoff entdeckt, der von fleißigen Menschen geborgen wurde: SCHEUERSAND. Leider sind die fälschlich als Teufelslöcher bezeichneten Gewölbe in den siebziger Jahren eingestürzt. 1987 hat man an dieser Stelle der Wöllnitzer Strasse etwa 100 m vor den eigentlichen Teufelslöchern ein Mäuerchen gebaut, um weiteren Felsstürzen vorzubeugen. Aber in Wogau kön­nen wir heute noch solche Scheuersandabbaustätten in Augenschein nehmen und zwar an der Bushaltestelle Wogau/Jenapriessnitz.

Bleiben wir im Gembdental! Wer mit offenen Augen von der Endhaltestelle Jena-Ost der Straßenbahn aus weiter stadtauswärts wandert, entdeckt in einem Gehöft die Reste eines alten Windrades. Hier wohnte unser Kohlenhändler und von hier aus mussten wir jeden Zentner Kohle den steilen Berg hinauf nach Hause ziehen. Der Händler hieß damals in Jena nur der "Gipser". Im Jahre 1988 gab ich einem Schüler, Ron Cosack, den Hinweis, doch einmal diesem Spitznamen nachzuspüren und Ron verstand es in ausge­zeichneter Weise, den schwierigen Auftrag auszuführen. Familie Wagner gewann also aus der das Gehöft nach Norden abschliessenden Felswand den anstehenden "FOSSILFREIEN GIPS" des Oberen Buntsandsteins; und zwar untertage. Er wurde als Branntkalk oder als Gips an die Bevölkerung, an Baufirmen, zuletzt an das Schottwerk verkauft.

Zwischen Kernberge und Johannisberg hat sich in Ost-West Richtung das Pennickental in die Schichten des Oberen Buntsandsteins (Röt) eingeschnitten. Wir sind erstaunt, mitten im Sandgebiet Kalkbrüche zu finden, noch dazu an der tiefsten Stelle des Tales! Es ist kein Muschelkalk der steilen Berge, sondern KALKTUFF, SÜSSWASSERKALK, ein Erzeugnis des harten Wassers aus dem Fürstenbrunnen. Weil heute dieses Wasser zum größten Teil in die Wasserleitung fließt, haben nun auch die Jenaer ihren Kalk in den Kochtöpfen. In vergangenen Jahren gruben die Wöllnitzer Bauern Kalk aus drei Gruben ab und bereiteten daraus ihre Trockenziegel. Zwei weitere Tagebaue wurden von Zahnpastafabriken zur Rohstoffgewinnung genutzt. lm Südwesten unserer Stadt lagerte eine weitere Ouelle Süßwasserkalk ab. Von dort kamen die echten "Ammerbacher", ebenfalls luftgetrocknete Kalkziegel.

Großverbraucher unseres MUSCHELKALKES war die Portlandzementfabrik in Göschwitz, Besitzerin eines riesigen Steinbruches am Mönchsberg; aber auch aus dem Fränkelsgrund transportierte eine Seilbahn Muschelkalk in die Brennöfen. Der Rest eines Pfeilers steht heute noch bei Wöllnitz an der Schnellstrasse. Eine dritte Seilbahn führte am Göschwitzer Friedhof entlang dem Werk Zuschlagstoffe (Röttone und Mergel) vom Roten Berg hinter dem Ort zu. Weithin verwehte der Wind den feinen Zementstaub- eine arge Belästigung für unsere Stadt. Ende der sechziger Jahre wurde der Betrieb dann eingestellt, genauso wie im Steudnitzer Zementwerk.

Steinbrüche, die der Gewinnung von WERKSTEINEN dienten, gab es rings um Jena in großer Zahl. Im heutigen "Betonzeitalter" benötigt man dieses Baumaterial nicht mehr. Natursteine aus heimischen Brüchen wurden vor dem Krieg zuletzt für den Brückenbau der Autobahnen verwendet. Jetzt sind alle Steinbrüche aufgelassen. Vereinzelt holen sich die Gartenlaubenbauer dort noch Material. Neuerdings besinnen sich der Forst oder die LPG auf das billige Straßenbaumaterial (Wittersroda, Riechheimer Berg). Leider fällt durch das Erliegen des Abbaus eine wichtige Fundstelle für Mineral- und Fossiliensammler aus.

Blättern wir in alter geologischer Fachliteratur, finden wir Hinweise auf früheren Bergbau (etwa vor 150 Jahren) im Himmelreichsgraben bei Lobeda. Blauer "Himmelsstein" war es, den die Bergleute aus den Myophorienschichten des obersten Röts holten. FASERCÖLESTIN, den man als Zuschlagsstoff bei der Zuckergewinnung benötigte und für "Bengalisches Feuer", denn das im Cölestin enthaltene STRONTIUM färbt die Flamme rot.
Trotz genauer Hinweise auf den Himmelreichsgraben in der Literatur und intensiver Suche, gelang es bis zum Jahre 1988 nicht, Spuren dieses Bergbaus aufzufinden. Denentsprechenden Horizont etwa 6 m unter der strohgelben Grenzschicht des Unteren Muschelkalks in den Myophorienschichten des Röts hatten wir schnell entdeckt. Heute kann sich jeder einige Stücke CÖLESTIN aufheben, aber grosse zusammenhängende Platten, wie das so manchmal gemunkelt wird, gibt es nicht.

Gehen wir doch einmal solch alter Dorfgeschichte nach! Da waren die Bauern in einer kleinen Gemeinde vor den Toren der Stadt nicht mehr mit sich, ihrem Leben, ihrer Arbeit zufrieden. Die hängigen Äcker brachten hier am Rande der Wälder an der steilen Hochfläche trotz tüchtiger Arbeit kaum Ertrag. Quecke und Winde nahmen immer mehr überhand. Verpasste man den richtigen Zeitpunkt zum Pflügen oder Hacken, wurde der Boden hart wie Stein. "Stundenböden" sagen erfahrene Bauern. Ja, der reiche Bauer gegenüber nannte im Hof eine starke Quelle sein eigen. Das war für ihn die rechte Goldgrube, die auch nie versiegte. Auffangen, einfüllen, Kohlensäure dazugeben und in der nahen Stadt verkaufen; das war alles. Die Bauern im benachbarten Bergdorf schnitten ihre Spazierstöcke aus KORNELKIRSCHBÄUMEN, die Wöllnitzer, Ammerbacher und Lichtenhainer brauten WEISSBIER oder beschäftigten sich mit den "Ammerbachern". Hinter dem Dorf, oben am Waldrand gab es zwar auch etwas Tuffkalk. Aber genauso ergebnislos wie damals bei den Leutraer Bauern endeten die Versuche zur Trockenziegelfertigung. Das Material war zu sehr verunreinigt.

Damals nach dem Umtrunk war es unter der alten Linde in der Johannisnacht, als Bauer Heinrich seinen Freund Michel zur Seite nahm: "Du, Michel, ich vertraue dir heute Nacht ein Geheimnis an; ich glaube, ich weiß jetzt, wie wir zu Geld kommen können!" "Was wird das schon wieder für eine Idee sein? Ich glaube dir bald nichts mehr!" "Diesmal ist es eine todsichere Sache," entgegnete Heinrich, hab sie von unserem Lehrer." "Du bist schon immer so ein Spinner gewesen; aber ich muss auch zugeben, dass du so manches Mal recht hattest mit deinen Einfällen."
Michel klopfte dem Freund anerkennend auf die Schulter: "Und würdest du nun so gut sein und mir das Geheimnis anvertrauen?" Beide tuschelten jetzt. Kein Wörtchen war mehr zu verstehen. Es war ein herrlicher Mittsommerabend. Unsere beiden Freunde treffen wir an einem steinernen Tisch unter einem großen Birnbaum neben einer Quelle hoch droben am Steilhang wieder. Hier hatte Heinrich seinen "Berg". Ein paar Obstbäume, ein Walnußbaum, zwei Mispelsträucher und am steilen Hang, wo vor Jahren der Schneebruch war, dem die Kiefern zum Opfer fielen, standen Pfingstrosen. Das war auch so eine fixe Idee von ihm, die er sich bei den Jenalöbnitzern abgeguckt hatte. Aber die wollten nicht so recht gedeihen, und da kam er auf den Einfall mit dem Brunnen. Dafür wurde er im ganzen Dorf ausgelacht. Na, wenn schon! Zuletzt blieb er doch der lachende Dritte. Der "Dorfkanter" Günther hatte ihn damals in seinem Tun bestärkt, von einem "Quellhorizont" gesprochen. Ab und an besuchte er ihn bei der Arbeit, machte ihm Mut und nahm dann und wann einen interessanten Stein mit. Da lagen sie jetzt vor Michel auf dem Tisch: eine Muschel, eine Seelilie und Fasergips. Das sollte das Geheimnis sein? "Nimm nur mal den Gips in die Hand," wurde er von Heinrich ermuntert, "und halte ihn ins Licht!" "Der schimmert ja blau!" Michel war ganz verdutzt. "Das ist eben kein Fasergips, dann wäre der Gipser schon da. Das hier ist Cölestin. Und jetzt zeige ich dir noch ein Geheimnis. Unser Bäuerlein zog einen Beutel aus der Jackentasche, entfaltete ihn vorsichtig und erklärte: "Herr Günther hat mich zu einem Experiment mit in die Schule genommen. Wir haben das blaue Cölestin zerkleinert und zuletzt solange im Mörser bearbeitet, bis wir staubfeines Pulver hatten. Das nahm er ganz vorsichtig und blies es in eine Kerzenflamme. Im gleichen Moment loderte die Flamme, tiefrot aufleuchtend." "Heinrich, weißt du was das ist?" fragte mich dann sein alter Lehrer. Nun erzählte er mir vom Strontium, seiner Verwendung bei den Feuerwerkern und setzte mir dann die Hummeln in den Kopf mit den Rübenbauern im Altenburgischen." Nun tuschelten beide aber ich habe das Geheimnis doch erfahren!

In der Leipziger Tieflandsbucht, im Flachland mit der Schwarzerde also, wuchsen seit einiger Zeit Rüben, aus denen man Zucker gewinnen konnte. Wie Pilze schossen die Zuckerfabriken aus dem Boden; endlose Ackerwagenschlangen voller Zuckerrüben standen vor den Toren. Aber noch war man mit der Ausbeute nicht zufrieden. Der Zucker im Abfall, in der Melasse, die verfüttert wurde, war noch zu hoch. Da gelang die großartige Erfindung: Wenn man diesem Rückstand Strontium beigab, konnte auch noch der letzte Rest Zucker ausgepresst werden. Und gerade das war das große Geheimnis unseres schlauen Bauern Heinrich. Der hatte sich vorgenommen, Cölestin imBerg zu brechen und es an die Zuckerfabrikanten zu verkaufen.

Der Sommer war vergangen. Wolkenverhangen der Himmel; aus Tä­lern und Schluchten brodelten Nebel. "Die Häschen kochen Klöß!" pflegten seine Kinder zu sagen. Vom Berggarten aus, den wir ja schon vom Sommer her kennen, stapften vier entschlossene Männer bergwärts. Sie zwängten sich durchs Strauchwerk, leise schepperte eine Schaufel, klang eine Hacke, wenn sie an einen Baum stieß. Recht heimlich schien das ganze Anliegen der vier zu sein, hatten sie doch schon lange auf solches trübes, diesiges Wetter gewartet. Zu Hause waren die Früchte eingebracht, die Äcker umgebrochen; Frau undKinder sorgten für das Vieh. Jetzt wollte man endlich nach dem Schatz graben. Aber das mußte möglichst heimlich geschehen. Keiner sollte sich weiter einmischen! Man wollte nicht unbedingt teilen, doch noch wichtiger war, sich nicht zu blamieren. Man hatte sich am Hang verteilt, und jeder grub erst einmal auf eigene Faust. Viel Schutt war wegzuräumen, ehe Hacke oder Spaten auf festes Gestein stießen. Ganz allmählich wuchs der Erdberg. Sie zogen ihn breit zu einer Terrasse. Eine Arbeitsplattform war entstanden. Fast senkrecht stand die Wand, man konnteganz genau die Schichten verfolgen. Plattiger fester Kalk wechselte ab mit Tonen, Mergeln und Lehm. Wo blieben nur die bläulichen Gipsbänder? Die Vier gruben wie die Wilden, man suchte rechts und links, nach oben zu, und man wühlte nach unten. Nichts! Jetzt mußte der erfahrene Lehrer herhalten, Herr Günther.

Endlich hatte Heinrich den alten Herrn überzeugt, mit auf den Berg zu klettern. Acht Tage waren inzwischen vergangen, und als nun die Schatzgräber mit ihrem Gast endlich keuchend auf dem Absatz standen, fuhr ihnen der Schreck in die Glieder. Der Regen der letzten drei Tage hatte ihre Gräben zum Einsturz gebracht. Herr Günther schüttelte den Kopf: "Nein, das müsst ihr ganz anders machen!" Dabei schaute er sich sehr genau überall um und prüfte diesen und jenen Stein. "Heinrich", rief er dann, "komm her und bringe deine Kameraden mit. Wir wollen Kriegsrat halten!"
Alle fünf Männer saßen jetzt auf Baumstämmen, die sie sich zurechtgerückt hatten. Der eine packte ein Stullenpaket aus, der andere brachte den Krug mit Malzkaffee. Jakobs Frau hatte für die Brotzeit ein ordentliches Stück Speck mitgegeben. "lhr müsst alle gemeinsam an einer Stelle arbeiten. In den letzten vier Wochen habt ihr 5 Löcher in den Hang gegraben, keiner hat etwas gefunden, und nun ist die ganze Geschichte noch eingestürzt. Ich mache euch einen Vorschlag. Ihr nehmt euch einen einzigen Stollen vor, und der wird ganz fest und sicher in den Berg getrieben. Denkt an die Einsturzgefahr, wenn der Gang erst einige Meter tief in den Berg geht und daran, dass zu Hause nicht nur die Arbeit, sondern auch Frau und Kinder warten!" Hier musste der Lehrer erst einmal abbrechen, denn seine Zuhörer hatten nicht nur zustimmend genickt, sondern Heinrich verriet durch sein Kopfschütteln, dass er nicht ganz einverstanden war: "Auf welche Art und Weise sollen wir denn einen festen einsturzsicheren Gang schaffen? Das Zeug hier ist ja so locker und mürbe durch die Verwitterung, dass ein Stollen immer zusammenbrechen wird. Ich glaube, ich gebe auf, wenn wir am Rande nichts finden und erst wie die Wühlmaeuse in den Rerg kriechen müssen!" Seine Stimme klang ganz verzagt; er hatte sich doch so große Hoffnungen gemacht. Die Runde hatte eine Zeitlang still dagesessen. Jeder hing seinen Gedanken nach, aber dann kamen Vorschläge:
"Wir könnten Bäume fällen, Stempel zurechtschneiden und damit Eingang und Stollen ausbauen", so der eine. "Ich würde es mit Mauersteinen versuchen", so der andere.
"Aber das kostet ja alles Geld, und den Herzog in Weimar um Erlaubnis angehen wegen des Holzes ist ebenso sinnlos. Die Aktion muss doch unbedingt geheim bleiben!" So der Andreas. Lehrer Gün­ther spielte schon geraume Zeit mit einem Stock; er malte Figuren in den Sand. Jetzt glättete er mit dem Fuß den Erdboden: "Hört mal her! Ich habe mir das so gedacht. Mauersteine herschleppen und Kalk, das geht nicht, kostet auch Geld. Schaut euch einmal um! Hier sind doch schon ganz solide Felsmauern im Hang. Die benutzen wir als Eingang. Der ist dann so fest, dass er 100 Jahre und länger unbeschadet steht." Er hielt inne, und die anderen folgten seinem Blick. Einige Meter höher am Hang traten feste Felsbänke aus massigem Muschelkalk hervor. Im Sand entstand jetzt eine Zeichnung: "An dieser Stelle hier wird der Eingang in den Fels gehauen. Dann treiben wir den Stollen nur noch ein Stück durch den harten Kalkstein und von hier an - sein Stock malte einen Knick - schräg nach unten. Es müsste doch nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn wir keine Cölestinschichten treffen würden.' Er schwieg und blickte einen nach dem anderen an. Ungläubiges Staunen, Freude, aber auch Zweifel fand er in den Gesichtern. "Also ab morgen sind Hammer und Meissel eure Werkzeuge, und bringt auch einen Schlegel mit!" Mit diesen Worten verabschiedete sich der "Obersteiger" und stolperte und rutschte ins Tal."Nun, da wollen wir mal!" Bauer Heinrich spuckte in die Hände und griff energisch nach seiner schweren Haue. "Diesen wuchtigen Felsen hier wählen wir zus Eingang!"
Etwa eine Stunde lang hatte man gehackt, gegraben und geschau­felt. Nun stand die Felswand knapp drei Meter hoch und vier breit glatt und sauber da. Der Boden davor war schön eingeebnet. An den beiden alten Kiefern rechts und links hingen die Jacken der Leute. Das Lachen eines Spechtes klang durch den Wald. Jakob hatte vorhin ein Feuerchen angefacht. lhm gefiel das Einwickelpapier nicht. Bauer Heinrich bückte sich jetzt, um einen angekohlten Stecken aufzuheben. "Hört mal" wendete er sich an die drei "Wir zeichnen uns noch schnell die Form der Öffnung an, dann machen wir Schluss für heute." Mit weit ausgestrecktem Arm beschrieb er einen Bogen vor der Felswand, und das Stück angekohlte Holz in seiner Hand zeichnete einen halbrunden schwarzen Strich auf den weißen Muschelkalk.

Heute war ein sonniger Spätherbsttag. Wir treffen den Lehrer Günther beim Aufstieg am Berghang, gleich über dem Scheuersandfelsen. An diesem schönen Abend wollte er seine Freunde Heinrich, Michel, Andreas und Jakob aufsuchen. Die rückten nämlich gar nicht mehr mit der Sprache heraus. Er hatte die letzte Reihe der Obstbäume hinter sich, da vernahm er ein feines Klingen und Klopfen. Er kam näher, und nun war das Klirren und Klopfen deutlich zu hören. Überrascht hielt er inne. Vor ihm in der hellen Kalkwand gähnte eine Öffnung, ein großer, etwa drei Meter weiter Halbkreis. Er rechnete mit einem schmalen Eingang. Die Männer hatten aber an alles gedacht, auch daran, dass sie ja später die Körbe voller Gestein hinausschaffen mussten. Diese Rundung erbrachte auch die höchste Standfestigkeit. Im Halbschatten arbeiteten die Bauern. Aus den großen Blöcken hatten sie Mäuerchen aufgeschichtet, damit der lose Schutt Halt bekam und nicht den Hang hinab bis zur Wiese rutschte und allesamt verraten würde.
Andreas erspähte zuerst den Gast und das Hallo war groß. Gemeinsam wurdebesichtigt, begutachtet, beraten. Mindestens vier Meter wollte man waagerecht vordringen, bis man ganz sicher war, sich im festen Gestein zu bewegen, aber dann sollte es schräg weitergehen so im Winkel von 20 ° etwa nach unten.Auch an den Wintereinbruch musste man jetzt denken. Vorläufig liess sich der Schutt noch in hohen Bogen nach draussen werfen, aber bald würde man Körbe oder Eimer benötigen. Und das mußte alles zum Stollen gebracht werden, solange der Steig noch einigermaßen begehbar war. Und dann war da noch die Beleuchtung! Zur Zeit reichte das Tageslicht aus, obgleich es so manch eine Dezembertag lang recht duster war. Es mussten Stallaternen her! Der Schulmeister bremste; er wußte von einem neumodischen Licht das einen ganz hellen Schein lieferte. Karbid brauchte man dazu und einen Brenner. Andreas kannte Germars Fritzen von der Lachenbrücke in Jena gut. Der wollte die Aufgabe übernehmen und Karbitlaternen
besorgen. Die Dämmerung war hereingebrochen. Diesmal ging man gemeinsam hinab ins Dorf.

In diesem Jahr hatten unsere Bergleute Glück. Der Schnee liess auf sich warten. Die grimmige Kälte störte die Arbeiten am Berg nicht. In der Höhle war es warm, und man kam voran, obwohl das Gestein immer härter wurde. Eines Tages war er dann da, der Schnee; es stiebte tagelang vomHimmel. Jeden Morgen und jeden Abend war eine Pfadspur im Schnee und verriet, dass vier Gesellen im Berg ihren Stollen vorwärtstrieben. Immer öfter prasselte ein Feuerchen versteckt im Eingang der Höhle. Man hatte nasse Kleidung zu trocknen, und der Tee, den Andreas und Jakob kochten, war in der Winterszeit auch nicht zu verachten.

Eines Tages passierte es dann: Am Schwarzen Brett beim Dorfschulzen hing ein Zettel: Aufforderung zum 'Gespanndienst für das Gut in Drackendorf' - Fronarbeit! Statt im Berg zu arbeiten, ging es jetzt Tag für Tag mit dem Pferdeschlitten in den Wald. Anfangs versuchten Jakob und Andreas am Abend zum Stollen zu klettern, aber sie waren zu müde zur Arbeit. Das Holzrücken ging auf die Knochen. Heinrich hatte auch Sor­gen.Er spannte noch am Abend an, um in Jena den Arzt aufzusuchen und in der Apotheke Salbe und Tee für seine kranken Kinder zu holen.
Michel arbeitete für zwei. Er wollte endlich fertig werden mit der ihm zugewiesenen Holzmenge. Und Herr Günther legte gerade zwei dicke Buchenscheite auf die Glut im Ofen. Bei ihm war es gemütlich warm. Er vertiefte sich wieder hinter seine Bergwerksbücher, die er in der Universitätsbibliothek ausgeliehen hatte und stellte immer wieder Berechnungen an über Gebirgsdruck und Stollenprofile; denn er machte sich inzwischen tüchtige Sorgen um das Bergwerksunternehmen, was er ja eigentlich den Bauern eingebrockt hatte. Tauwetter setzte ein. Die Fronarbeit war zu Ende. Man hatte selbst auch sein Brennholz für den nächsten Winter im Schuppen. Sie konnten garnicht schnell genug sein, ihr "Bergwerk" wieder zu sehen. Staunend standen alle vier vor ihren Stollen. Nichts, aber auch gar nichts war eingefallen, der Gang völlig trocken, obwohl draußen das Schmelzwasser rann. Voller Freude ging er wieder ans Werk.

Im Dorf wurde jetzt mehr und mehr gemunkelt. Um die Felder unserer "Bergleute" stand es nicht sehr gut. Da war die Saat nicht im März in die Erde gekommen. Man hatte keine Zeit zum Eggen und Walzen, kurzum, die Felder verwahrlosten, und die Bauern teilten sich in zwei Lager. Die einen pirschten sich an die "Schatzgräber" heran, die anderen verurteilten die Angelegenheit als Kinderei. Es kam so, dass unsere vier Freunde immer mehr Anhänger und Hilfe erhielten. Man hatte nämlich beschlossen, weitere Interes­senten aufzunehmen.
Die Arbeit war zu mühselig und ging sehr langsam voran. Es könnte noch Jahre dauern, um zu einer Ausbeute zu kommen. Aus zwei Dörfern waren jetzt Helfer vor Ort. Einige brachten ihre Erfahrungen aus den Scheuersandgruben mit.
Unser Lehrer musste immer häufiger den steilen Berghang hinaufklettern. Seine Vermessungen waren jetzt gefragt, denn seitdem man schräg nach unten grub, waren die gelben Kalke der Grenzschicht ans Licht gekommen. Hacke und Meissel fuhren jetzt in die Schichten der Rötformation. Aber hier bestätigte sich nicht die Hoffnung auf weicheres Gestein. Klingend hart boten die Kalkbänke Widerstand, aber das Gefüge des Materials war so,dass sich Platten lösen ließen. Und hier erwuchs den Hauern ein neues Problem: der First des Ganges musste spitzer herausgeschlagen werden, damit keine größeren Platten herabfallen konnten."Obersteiger" Günther warfroh, seinen Verbandskasten nicht vorholen zu müssen; er hatte dafür gesorgt, dass jeder eine feste Kopfbedeckung auf hatte und derbe Schuhe trug.
Als der neue Winter ins Tal zog, und die neue Fronarbeit wieder heranrückte, war man recht weit vorangekommen. Nur Cölestin hatte sich noch nicht gezeigt. Neue Interessenten waren hinzugstoßen; sie schafften mit frischer Kraft und neuer Hoffnung. Manch anderer war schon nach wenigen Monaten abgesprungen. Doch Ende des Jahres war es so, dass aus fast jeder Familie in beiden Dörfern wenigstens ein Mitglied eine gewisse Zeit mit dabei war.

Bauer Heinrich hatte noch einmal im Stall nach des Rechten gesehen. Pfui Teufel, war das ein hässliches Wetter draussen! Es schneite, regnete und stürmte. Jetzt kletterte er die Stiege empor; er wollte sich endlich hinlegen, um einmal auszuschlafen. Da schlug der Hund auf dem Hofe an. Sicher trieb sich ein Fuchs umher. Das Bellen wurde immer wütender. Da hörte er auch Rufe draussen vor seinem Tor. lhm blieb nichts weiter übrig, sich die Hose wieder anzuziehen und nachzusehen. Seine drei Freunde waren es. Und als er hörte, um was es sich handelte, schob er den Riegel zur Seite. Kurz darauf saßen alle an dem großen Tisch der Stube und hörten eine überaus unglaubhafte Geschichte. Andreas war im Dämmer der Stube auf der Ofenbank hocken geblieben. Jetzt knöpfte er umständlich seine Joppe auf und nestelte vorsichtig einen eingewickelten Gegenstand darunter hervor. Schwerfällig begab er sich mit drei Schritten zum Tisch und legte eine recht gewichtige Gesteinsplatte mitten darauf: "Nun, ist das nichts?"
Wirklich, das war was! Farblos, hell- und dunkelblau, an manchen Stellen fast schwarz leuchtete der Stein im Licht der Petroleumlampe. Schöne regelmäßige und glatte Flächen wurden auf der anderen Seite von zwei oder drei Zentimeter langen Faserbändern begrenzt. "Lasst doch mal das Licht durchscheinen!" "Dunnerlittchen! Sowas je zu finden! Wer hätte das gedacht!" In einem zarten Blau zeigte die etwa 20 - 30 cm große Cölestinplatte ihre verborgene Schönheit. "Wie muß das wohl erst im Sonnenlicht strahlen!" Heinrichs starke Bauernhände zitterten, als er den Brocken zurücklegte. Am liebsten hätte er, dass keiner weiter die Platte berühre. Aber seine Freunde lachten verschmitzt: Sie hatten die Säckchen bis jetzt verborgen gehalten, und die waren voller Fasercölestin! Für Heinrich jedoch hatten sie die schönste Platte aufgehoben. Und nun wurde berichtet: Fast gelangweilt hatte Andreas im Stollen mit seiner Hacke im losen Gesteinsschutt gestochert...
Ihn hielt es heute nicht im Dorf. Ganz allein war er auf den Berg gestiegen. Er wollte nicht in den Stollen.Er wollte endlich wieder etwas anderes draußen sehen und hören. Dreiundzwanzig Meter weit war das Loch jetzt in den Berg vorgetrieben. Das sollte erst einmal reichen. Und wen traf er jetzt? Jacob und Michel mussten die gleichen Gedanken gehabt haben. Aber nun, wo das Kleeblatt beieinander war, kamen sie, wie von Elfen geführt, ihrem Bergwerk immer näher. Sie wollten nur nachsehen, ob alles in Ordnung sei. Arbeiten wollten sie auf keinen Fall. Jakob holte aus dem Versteck, eine kleine verborgene Höhle, Geleucht und Gezähe, und alle drei fuhren ein, das heißt in unserem Falle gebückt und vorsichtig setzte man Schritt vor Schritt. Der Gang war sauber aufgeräumt; man hatte nur darauf zu achten, sich nicht an einer Felsecke mit dem Kopf zu stoßen. Nach ein paar Minuten war man vor Ort. Andreas sah dreimal hin. Am Boden hatte er mit seiner Hacke einen Stein gewendet, und wenn das Licht der Karbidlampe darauffiel, zuckte da wieder der blaue Funke auf. Jetzt bückte er sich, griff zu. Und nun sah er es deutlich: Er hielt blauen Cölestin in der Hand! Im Nu waren die Kameraden bei ihm. Mit Hacke und Schaufel räumten sie das lose Gestein zur Seite. Da war sie, die Bank, ganz unten am Boden. Ein Meissel trieb das Gestein auseinander; die Platte ließ sich abheben. Die Platte, die jetzt hier auf Heinrichs Tisch vor ihnen lag! Nun mußte aufgepasst werden. Ab morgen sollte eine Wache der Höhle stehen.

Einige Wochen lang herrschte fieberhafte Geschäftigkeit im Berg. Um möglichst große Platten gewinnen zu können, ließ Günther das Ende des Stollens auf etwa 3 m erweitern, dann wühlte man sich nach unten. Es war ein Spaß, immer dickere größere Platten zu Hause im Keller stapeln zukönnen. Diese Schlepperei war eine mühselige Arbeit, mußte doch ein ganzes Stück des Weges auf einem steilen und miserablen Trampepfad zurückgelegt werden, bis endlich Sohnemann Matthias mit Pferdegespann die Last übernehmen und nach Hause transportieren konnte.
Innerhalb von 14 Tagen lagerten bei etwa vier der eifrigsten Helfer auch noch ganze Berge von Cölestin, aber nur kleines bröckeliges Material. Jetzt hatte man vorläufig genug. Der Eingang zum Stollen wurde verbaut, indem man Haufwerk darin aufschichtete. Drei Rundhölzer verwehrten in der verbleibenden Öffnung den Zutritt, und schließlich tarnten sie mit umherliegenden und herbeigeschleppten Gestrüpp Mundloch und Halde.
Nun sollte an den Verkauf gedacht werden, aber das Frühjahr zog ins Land mit seinen Arbeiten auf den Äckern, bis endlich die Reise in den Zeitzer Raum angetreten werden konnte. Nach langer Beratungsrunde am Biertisch war man sich endlich einig geworden dass Heinrich und Michel fahren und zur Unterstützung den Lehrer Günther als Advokaten mitnehmen sollten. Übermorgen gab Ferien.

Es war so weit! Heinrich und Michel erschienen im "Sonntagstaat" auf dem Hof. Matthias schirrte die Pferde, Andreas und Jakob halfen beim Anspannen und Beladen des Planwagens. "Hottehüh!" und "Hott!" und "Hüh!"
Zweispännig rumpelte die Fuhre, gelenkt vorn Heinrichs zwölfjährigem Sohn Matthias vom Hofe. Der durfte zur Belohnung mit, weil er gestern bei der Zeugnisverteilung gut abgeschnitten hatte. Freundlich winkend begegneten ihnen Nachbarn und Helfer. Manch hoffnungsvoller Ruf hallte dem Wagen nach, als er mit angeleierter Bremse den Dorlberg hinabrollte. Die drei Männer hatten es sich auf der großen Proviantkiste auf Heu- und Hafersäcken bequem gemacht. Endlos dehnte sich vor Matthias auf seinem Kutschersitz die Landstraße. Obstbäume am Straßenrand boten etwas Schatten. Nach jedem Kilometer Fahrt unterbrach eine Pappelgruppe die Baumreihe. Die waren damals auf Kaiser Napoleons Geheiß gepflanzt worden, der seine Heerstraßen nach Kilometern ausmessen ließ statt nach Meilen wie bisher. Ja, er hatte in der Schule immer aufgepasst, und jetzt freute er sich auf das Töpferstädtchen Bürgel. Soweit war er noch nie gekommen. Also vorwärts! "Hüh! Liesel, Hüh! Lotte"

Nach acht Tagen freute man sich auf die Rückkehr, nach zehn Tagen erwartete man sie ungeduldig. Nach 14 Tagen machten sich nicht nur die betreffenden Familien Sorgen, sondern das ganze Dorf. Morgen sollte die Schule weitergehen, und noch ein Sonntag ohne Organisten; das ging einfach nicht!
Am späten Nachmittag - die Sonne stand schon über der fernen Stadt - näherte sich ein Planwagen im flotten Trab der Kreuzung. Verwegennahm der Bub auf dem Kutschbock die Kurve. Dann trabten die zwei Stuten müde die Straße zum heimatlichen Hof empor. Aber nicht nur die Pferde liessen die Köpfe hängen. Auch die Insassen erwiderten kaum die frohen Wiedersehensgrüsse. Sie verschwanden müde im Haus. Unser kleiner Kutscher aber konnte erzählen, und er berichtete vom Besuch in einer Zuckerfabrik nach der anderen und von dem erfolglosen Bemühen, das Cölestin an den Mann zu bringen. Wie hatten doch der Lehrer und Vater und die anderen immer wieder geredet, geredet, geredet.
Die Antwort war immer gleich: "Wir haben besseres Strontium aus dem Ausland!"
"Nach Schönebeck, Coswig oder Riesa, also bis an die Elbe zu fahren, um verkaufen zu können, war sinnlos, denn die hatten bestimmt auch etwas Besseres für die Zubereitung ihres Bengalischen Feuers."
Jetzt stürtzte der Junge mit seinen Freunden von dannen zum Ratsfelsen, ihren geheimen Versammlungsplatz am Hirschberg. Es gab ja so viele Kutschererlebnisse zu berichten! Für Heinrich, Michel, Jakob und Andreas, für Lehrer Günther und alle anderen Helfer und Interessenten war das Cölestin - Abenteuer gestorben. Wehe demjenigen, der künftig einen Dorfbewohner nach jenen blauen Steinen fragen sollte!!!

Vor einigen Tagen war ich mit Matthias unterwegs "Auf den Spuren des Bergbaus". Wir streiften durchs Gelände, fanden Heckenrosen und Mispeln, Walnußbäume und Pfingstrosen. Wir krochen durch dichtestes Gestrüpp und fanden "Bauer Heinrichs Brunnen". Ab sofort konnte uns nichts mehr halten. War da der Brunnen - war da auch der Stollen. Wir suchten und suchten; wir suchten tagelang. Aufgeben? Nie und nimmer! Um bequem frühstücken zu können, verließen wir das Gebiet mit dem dichten Gestrüpp; da war es feucht und es gab Mücken! Flink wurde ein Stück des Steilhanges bezwungen bis zu einer Felsgruppe, die einen guten Sitzplatz bildete. Hier war der rechte Ort zum Rasten, und einen weiten Ausblick hatte man von hier oben außerdem.
"Hat sich da unten nicht eben etwas bewegt?" Gebannt blickten wir beide hinab. An dieser Stelle des Hanges reichte der Wald der Hochfläche über den trockenen Hang etwas weiter hinab. Er fand Anschluss an die Gebüschzone an seinem Fuße. Einige ältere markante Kiefern standen da und ein paar Birken. Und da eben war es wieder:
"Dort unten bewegt sich was!" rief Matthias. Er zeigte hinab zu einer kleinen Birke. Auf dem Absatz neben dem Baum kullerten drei kleine rotbraune Fellbällchen umher. "Eichhörnchen?" Schnell packten wir zusammen und stiegen ganz vorsichtig hinunter. In einem großen Bogen pirschten wir uns an die Stelle heran. Aber da war nichts. Unter einem alten Baumstubben fand der Junge dann den Eingang zu einem Fuchsbau. Versteckt unter Büschen hatte Meister Reinecke noch weitere Löcher gegraben. Was wir von oben gesehen hatten, mussten spielende Jungfüchse gewesen sein.
Ich stutzte. Das Gelände hier war so merkwürdig verändert. Der Absatz im Hang entpuppte sich als eine etwa vierzig Meter lange Terrasse. Mehrere Rinnen oder Furchen zogen von hier aus ein Stück hangauf. Infolge natürlicher Verwitterung konnten diese Geländeformen nicht entstanden sein. Es bestand kein Zweifel: Hier hatten Menschen die Hand im Spiel. Freudige Überraschung, am Ziel zu sein, die Spur gefunden zu haben. Zweifel, waren die gefundenen Spuren doch etwa 6 m zu hoch. Hier war der Hang nur ganz schütter bewachsen. "Suchen wir mal weiter drüben, wo die Bäume stehen und das dichte Gebüsch anfängt!" Flink wie ein Reh war Matthias quer zum steilen Hang davongeeilt.
Bei mir ging das etwas bedächtiger, wollte ich doch nichts im Gelände übersehen. Plötzlich klang sein heller Ruf: "Klaus, ich habe was gefunden! Hier ist eine Höhle! Aber die ist ganz verwachsen!" "Und hier! Wieder eine!"
Das Stimmchen überschlug sich fast vor aufregender Entdeckerfreude. Ja, wir haben den Stollen gefunden!

Am nächsten Tag stehen wir wieder vor der Höhle. Eigenartig ist es doch. Schön aufgeräumt ist der Platz, auch die alten Kiefern stehen da. Wir hängen unsere Jacken aber nicht an die Äste, sondern legen alles auf dem Waldboden ab und packen die Rucksäcke aus. Jeder hat zwei Taschenlampen, zwei Ersatzbatterien und Glühlämpchen. Wollpullover, Schutzhelm, Verbandsmaterial, Heftpflaster, Hammer und Meissel - Ölsardinen und Schokolade. Auch einige Zeitungen stecken wir ein, Kerze und Streichhölzer. Wir müssen über uns lachen, wenn wir uns ansehen in den alten dicken Hosen und Jacken. "Na dann - Glück auf!"
Hell und fest in einem sauberen Bogen wie ein Portal steht der Eingang zum Stollen seit 150 Jahren! Am Boden hat sich ein lockerer Schotterberg angesammelt. direkt unter der Trauflinie liegt ein kleiner Erdwall, der aus den an der Hangoberfläche herabkriechenden Erd- und Gesteinsmassen besteht. Wir müssen uns bücken, wenn wir uns nicht stossen wollen. "Ob unsere vier Freunde damals so klein waren?" "Nein, hier ist soviel Schotter am Boden abgelagert. Entweder schaffte man ihn damals nicht mehr heraus, oder das Zeug ist im Laufe der Jahrzehnte vom First herabgefallen, vielleicht auch beides." Die umherlieqenden Platten machen uns immer mehr zu schaffen. Nach etwa acht Metern können wir nur noch sitzen. Wir nutzen die Gelegenheit zum Verschnaufen und Umschauen. Hinter uns ist nichts mehr vom Eingang zu sehen. Der Stollen macht auf den ersten Metern einen leichten Knick nach links. Ringsum stehen kantige Steinplatten aus der Wand, hängen schräg in den Gang, aber sie sind recht handlich, könnten keinen erschlagen. An dieser Stelle sitzen wir etwa zwei Meter tiefer als am Eingang. Aber nun wird es wirklich eng, und ich rutsche auf dem Rücken liegend wie ein Wurm immer weiter hinab. Dabei ist einmal die Nasenspitze, ein andermal der Helm im Wege. Wie soll man sich da noch mit der Lampe den verbleibenden Gang beIeuchten? Endlich liegt der Engpass hinter uns. Bald darauf klingt's von unten: "lch bin vor Ort!" Wir haben das ganze weite Bauwerk ausgemessen: Dreiundzwanzig Meter tief befinden wir uns im Berg und etwa sechs Meter unter dem Niveau des Höhleneinganges. Hier kann man bequem aufrecht stehen. Etwa zwei Meter beträgt die Firsthöhe. Der ca. 1,5 m breite Gang ist vor Ort auf knapp 3 m erweitert. Man kann sich an dieser Stelle gut bewegen und mit dem Werkzeug hantieren. Wir legen unser Gepäck ab. Auch die Ersatzlampen bekommen ihren festen Platz. Nun wird eine Kerze angebrannt. Das ist zwar kein Schutz gegen "Schlagende Wetter", aber sie gibt uns Gewissheit über eine aus­reichende Menge Sauerstoff. Nun schauen wir uns in aller Ruhe um: In 50 cm Höhe läuft ein blaues Fasercölestinband durchs plattige Gestein. Weiter oben steht abermals Cölestin an. Der ist aber heller. Im untersten Winkel rechter Hand leuchtet das Gestein tiefblau. Davon müßte man eine Platte haben. Die wäre bestimmt so schön wie die, die damals vor Heinrich auf dem Tische lag.
Ich greife zu Hammer und Meissel. Die ersten Schläge klingen eigenartig dumpf hier im Berg. Stille! Nicht der geringste Laut verrät ein herabfallendes Steinchen. Nun schlage ich mit ganzer Kraft zu und treibe den Meissel ins Gestein. Matthias muss mit zwei Lampen leuchten. Den einen Strahl richtet er auf den Kopf des Werkzeugs, den anderen auf die Gesteinsfuge. Wie schwer geht doch die Arbeit untertage vonstatten, wie schnell wäre die Cölestinplatte bei Tageslicht gewonnen! Nach zweieinhalb Stunden hatten wir es satt. Nun ging es ans Verpacken: die größeren Stücke mussten ganz behutsam angefasst werden! Ruhig brannte unsere Kerzenflamme. Jetzt konnte sie gelöscht werden. Beide liessen wir auf uns die absolute Dunkelheit eine Weile wirken. Die Nacht des Bergmannes! Wem wird bange? Wir sind doch hier nur 23 m tief im Berg! Die Ausfahrt gestaltete sich schwieriger. Jetzt mussten wir uns ja aufder schiefen Ebene nach oben schlängeln. Und robben ging auch nicht an allen Stellen. Endlich war ein gebücktes Gehen möglich. Die Gesteinsschichten wechselten. Tageslicht schimmerte. Am Ausgang atmeten wir beide tief aus. Die Befahrung war gelungen. Wir konnten sogar Cölestinplatten bergen.

Ob wohl Heinrich, Michel, Jacob und Andreas neidisch sein werden...?

alter Bergbaustollen auf Coelestin am Jenzig

(Für die Fachgruppe Geologie/Mineralogie im Deutschen Kulturbund geschrieben von KLAUS WINCKLER, Jena, im Juli 1988, geringfügig verändert C. LINDE im Februar 2007, 1/2011 neu angepasst und etwas gekürzt)

Zwei klassische Coelstinstücke, die zu Zeiten des alten Bergbaues gefunden wurden:

Bild oben zeigt eine typische Fasercoelestinstufe von Wogau

Bild unten eine Stufe, wie sie wohl nur zu Zeiten des Abbaues vorkamen. Auf dem Zettel steht: "Cölestin mit blättrigem (?) Gefüge unterster Muschelkalk vom Jenzig bei Jena (damals zählten die Myophorienschichten am Jenzig zum Unteren Muschelkalk als "Schmids Cölestinschichten").

Fasercoelestinstufe von Wogau (IGW)

Coelestinstufe in spätiger Ausbildung

 

 

C. Linde, 26.09.2002/19.12.2002/06.01./30.01.2003/19.01./02./04./09.-13.02.2007, 28.08.2010, 22.01.2011 übertragen, ergänzt mit Mineralienbildern 23.11.13 (Bildquelle: Sammlung des IGW der FSU Jena)